Die neuen Regeln

In seiner aktuellen Kolumne im ChessCafe schreibt der Chef des Fide-"Rules and Tournament Regulations Committee" Geurt Gijssen über die wichtigsten Regeländerungen, die in Dresden beschlossen wurden und zur kommenden Saison in Kraft treten sollen (sofern das Presidential Board nicht wieder dazwischenhaut...):
  • Ein neuer Artikel 6.11b: "If during a game it is found that the setting of either or both clocks was incorrect, either player or the arbiter shall stop the clocks immediately. The arbiter shall install the correct setting and adjust the times and move counter. He shall use his best judgement when determining the correct settings."

    Das erlaubt dem Schiedsrichter, eine falsche Grundeinstellung der Uhr im laufenden Spiel zu korrigieren. Bisher durfte man nur kaputte Uhren ersetzen, aber ein Bedienungsfehler konnte so nicht berichtigt werden.

    Gijssen schreibt dazu, dass erst die Digitaluhren diese Regel notwendig gemacht haben. Eine analoge Uhr wurde ja praktisch nie falsch eingestellt. Bei einem Digitalmodell sagt einem die zu Beginn angezeigte Zeit ja noch lange nicht, welcher Modus eingestellt ist. Eine extrem sinnvolle Ergänzung.
  • Zwar ist keine Nummer genannt, aber es kann sich nur um 7.4b) handeln. Bisher steht darin, dass ein Spieler, der zum dritten Mal in derselben Partie einen regelwidrigen Zug macht, selbige verliert. Jetzt wurde ein Passus analog zum Blättchenfall ergänzt: "However, the game is drawn if the position is such that the opponent cannot checkmate the player’s king by any possible series of legal moves."

    Somit sind die beiden Fälle Blättchenfall und dritter illegaler Zug vereinheitlicht. Das stellt zwar tatsächlich eine Regeländerung dar, aber ich frage mich, ob dieser Artikel überhaupt jemals wirklich in Gänze zur Anwendung kommt. Ein regelwidriger Zug kann ja in extremer Zeitnot schon mal passieren, aber drei?
  • Die "Sofia-Regel" (Remis durch Vereinbarung nur mit Zustimmung des Schiedsrichters) sowie die Vorschrift einer Mindestanzahl von absolvierten Zügen vor einem Remis durch Vereinbarung werden jetzt explizit in einem neuen Artikel 9.1a) zugelassen. Ich habe mich schon immer gefragt, ob solche bereits praktizierten Regelungen nicht gegen eben 9.1 in der aktuellen Fassung (die jetzt in 9.1b) umfunktioniert wurde) verstoßen. Offensichtlich war das Komitee genau dieser Meinung und hat die Regeln entsprechend sinnvoll erweitert.
  • Der seit Ewigkeiten umstrittene letzte Satz in Artikel 9.2 wurde durch eine neue Formulierung ersetzt, die (hoffentlich) glasklar beschreibt, ab wann ein Verlust des Rochaderechts nicht mehr die gleiche Stellung bedeutet. Auch eine eher akademische Frage, aber trotzdem eine bessere Form.
  • Eine unauffällige, aber ganz entscheidende Änderung in 9.4: Bisher durfte man ein Remis wegen Zugwiederholung bzw. der 50-Züge-Regel beanspruchen, solange man keinen Zug ausgeführt hatte. Jetzt verliert man das Recht bereits mit dem Berühren einer Figur. Das ist auch mal eine Regeländerung, die sich tatsächlich im "Alltagsgeschäft" auswirken kann. Etwas verwirrend finde ich allerdings, dass Regel 10.2 nicht im gleichen Maße angepasst wurde. Andererseits wird dieser Passus mit der fortschreitenden Einführung der "Fischer-Zeit" eh bald nur noch ein überflüssiges Relikt darstellen.
  • Zwei Änderungen gab es in Artikel 9.5:
    • Ein Spieler muss jetzt nicht mehr die Uhren anhalten, bevor er ein Remis gemäß 9.2 oder 9.3 beansprucht. Er darf es aber nach wie vor. Im praktischen Leben keine wirkliche Änderung, da Schiedsrichter bisher schon angehalten sind, bei einer offensichtlichen Absicht eines solchen Antrags den Spieler um das Anhalten der Uhren zu bitten.
    • Die Änderung an 9.5b) ist aber substanzieller: Bei einem inhaltlich falschen Antrag erhält jetzt nur noch der Gegner eine Zeitgutschrift. Bisher muss man dem Antragsteller noch zusätzlich etwas abziehen - und dabei drei verschiedene Fälle berücksichtigen, die ich mir auch kaum merken kann und bisher vor jedem Einsatz erneut nachgelesen habe.
  • Der elendige Handyparagraph 12.2 wurde in 12.3 umnumeriert und liegt jetzt zudem in einer klareren Fassung vor:
    • Komplett ausgeschaltete Handies sind erlaubt.
    • Jeglicher Ton, den ein Handy produziert - egal, um welche Funktion es sich handelt, und wenn es eine Akkuwarnung ist - führt zur sofortigen Niederlage. Die bisherige Formulierung sprach nur von "ring", also klingeln, was gerne mal die Frage aufwarf, ob denn auch die Weckfunktion davon betroffen sei.
    • Die 0 für den Handyklingler steht immer, aber bisher entschied der Schiedsrichter frei über die Punktzahl des Gegners, was unter Spielern und Schiedsrichtern teilweise zu nächtelangen Diskussionen über die Interpretation dieses Paragraphen führte. Jetzt gibt es eine ganz klare Vorschrift - und zwar die aus meiner Sicht einzig sinnvolle: Grundsätzlich gewinnt der Gegner; ist er aber in der konkreten Stellung nicht mehr in der Lage, mattzusetzen, erhält er nur einen halben Punkt.
  • Eine weitere Ergänzung zum Spielerverhalten, die sich eh schon in praktisch allen Turnierordnungen findet: Rauchen ist nur in einem vom Schiedsrichter speziell dafür vorgesehenen Bereich erlaubt. Laut Gijssen fand sich eine solche Vorschrift bisher nur in den "Rating Regulations" - was immer die da zu suchen hat.
  • 12.6 wurde dahingehend erweitert, das ein Spieler keine Lärmquelle mehr in den Spielbereich mitbringen darf. Bin mal gespannt, wann da die ersten Fälle von knitterndem Bonbonpapier entschieden werden. ;-)
  • Jetzt wird in den Regeln ein Protest gegen eine Schiedsrichterentscheidung explizit erlaubt - und die Tatsache, dass eine Ausschreibung solche Proteste verbieten kann. Irgendwie habe ich das ungute Gefühl, dass man sich mit der vorliegenden Formulierung keinen Gefallen tut.
  • Die Anhänge zum Schnell- und Blitzschach sehen jetzt die Möglichkeit einer "adäquaten Überwachung" durch einen Schiedsrichter vor (was in diesem Fall heißt "maximal drei Partien gleichzeitig pro Schiri"). Ein Turnier, das diese sicherstellt, soll nach den "normalen" Regeln gespielt werden! Das heißt u.a., wenn ich als Veranstalter eines Blitzturniers genügend Schiris zur Verfügung habe, verliert man durch einen illegalen Zug nicht mehr automatisch die Partie. Hammer! Gut, in der Praxis dürfte ein solches Turnier wohl kaum vorkommen, aber ich würde so was wirklich wahnsinnig gerne mal mitmachen.
  • Beim Schnellschach ohne "adäquate Überwachung" gibt es eine weitere sehr pragmatische Änderung: Dem Schiedsrichter ist es (wie bisher) grundsätzlich untersagt, einen Blättchenfall anzuzeigen. Wenn jedoch beide Blättchen gefallen sind, darf er es jetzt durchaus. Das ist einfach sinnvoll, damit Partien nicht unnötig in die Länge gezogen werden, obwohl sie eigentlich schon lange vorbei sind.
  • Beim Blitz bleibt bisher ein illegaler Zug bestehen, sobald der Gegner seinen eigenen ausgeführt hat. In der von Gijssen präsentierten Formulierung dürfen sich die Spieler jetzt aber auf die Korrektur eines solchen Zugs einigen. Da sind Diskussionen irgendwie vorprogrammiert...
Unterm Strich finde ich die Änderungen gut - soweit sie denn überhaupt praktische Auswirkungen haben werden. Jetzt bleibt abzuwarten, was das Presidential Board zum Thema "Wartezeit zu Partiebeginn" beschließt. Iljumschinow hat da ja eine ziemlich harte Vorstellung, die auch hoffentlich in dieser Form nicht durchkommt.


"Die Anhänge zum Schnell- und Blitzschach sehen jetzt die Möglichkeit einer "adäquaten Überwachung" durch einen Schiedsrichter vor (was in diesem Fall heißt "maximal drei Partien gleichzeitig pro Schiri"). Ein Turnier, das diese sicherstellt, soll nach den "normalen" Regeln gespielt werden! Das heißt u.a., wenn ich als Veranstalter eines Blitzturniers genügend Schiris zur Verfügung habe, verliert man durch einen illegalen Zug nicht mehr automatisch die Partie. Hammer! Gut, in der Praxis dürfte ein solches Turnier wohl kaum vorkommen, "

außer bei Turnieren mit regulärer Bedenkzeit, wenn für einen Qualifikationsplatz ein Blitzentscheid vorgesehen ist

"aber ich würde so was wirklich wahnsinnig gerne mal mitmachen. "

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